Samstag, 31. Oktober 2009

Hessen, eine Geschichte von Robert Gernhardt

Ein Reisender machte in einem kleinen Dorf Station und beschloß, im einzigen Gasthaus zu Mittag zu essen. Als er nach der Speisekarte verlangte, erklärte der Wirt bedauernd, daß er nur gedämpfte Mumeln anbieten könne. In Erwartung einer besonders ausgefallenen Spezialität bestellte der Reisende dieses Gericht, worauf der Wirt einen Teller brachte, auf dem vier kleine, grüne Früchte lagen. Mißtrauisch nahm der Gast eine von ihnen in den Mund und biß vorsichtig drauf. Sein Mißtrauen war berechtigt, die Früchte waren zäh und ohne Geschmack. Empört rief er nach dem Wirt.
"Ich habe eine Frage an Sie" sagte er. "Wieso sind diese Mumeln so klein?" "Es war ein schlechtes Mumeljahr", antwortete der Wirt. "im letzten Jahr waren sie viel größer. Aber heuer kam ein unerwarteter Frost und schon war die ganze Mumelernte verdorben." "Sie sind aber nicht nur klein, sondern auch geschmacklos" sagte der Gast böse. "Das war der Regen" entgegnete der Wirt. "Wenn es regnet verlieren die Mumeln ihren Geschmack."
"Ausserdem sind sie zäh wie Leder" entgegnete der Reisende. "Das kommt vom Dämpfen" sagte der Wirt. "Die meisten Mumeln vertragen das Dämpfen nicht. Manchmal geht es gut, aber meistens werden sie zäh." "Aber wieso dämpfen Sie sie dann, wenn sie das wissen?" "Wenn man sie kocht, schmecken sie noch schlechter", sagte der Wirt. Verblüfft schwieg der Gast.
"Na hören sie mal", begann er von neuem, "meinen Sie daß ich von diesen vier Mumeln satt werden kann?" "Nie und nimmer" entgegnete der Wirt. "Kein Mensch wird davon satt, das sieht doch ein Kind" "Könnte ich dann nicht wenigstens Kartoffeln dazu bekommen?" Der Wirt hob entsetzt die Hände. "Aber man kann doch nicht zu Mumeln Kartoffeln servieren!"
"Aber wie können Sie ihren Gästen ein Gericht servieren, das weder schmeckt, noch sättigt?" Fragte der Reisende zornig. "Das hbe ich mich auch schon gefragt", sagte der Wirt. "Aber Sie sehen ja selbst, daß es geht." "Und jetzt wollen Sie wohl noch Geld dafür?" fragte der Gast. "Wenn es Ihnen nichts ausmacht, wäre ich schon froh, wenn Sie zahlen würden" entgegnete der Wirt. "Irgendwie muß ich ja leben. Ich habe Frau und Kinder."
Wütend zahlte der Reisende und stand auf. "Sie erwarten hoffentlich nicht, daß ich Ihr Lokal nun auch noch weiterempfehle?"
"Wie käme ich dazu", sagte der Wirt traurig."Aber es wäre nactürlich schön wenn Sie es täten. Es kommen nämlich nicht viele Leute in mein Lokal."
Da faßte den Gast ein merkwürdiges Grausen, und er stieg schnell in seinen Wagen. Im Rückspiegel sah er noch, wie ihm der Wirt freundlich nachwinkte.

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